Immer wieder Gedankenwanderungen, spazieren in Zukunft und Vergangenheit, immer wieder zurückkehren zum Atem: Atem, du stabiles Gerüst, in deiner Bewegung, deinen Ebbe- und Flutwellen, deiner Umkehr beeindruckst du mich. Du bist ein verlässlicher Partner im Wandel der Gezeiten meines Lebens. Egal wohin ich rutsche oder hüpfe, du bleibst bei mir. Auch in die Narkose hast du mich begleitet und wieder heraus. In Schlaf und Traum begleitest du mich, gleichgültig ob ich in köstlichen oder angstbesetzten Gefilden weile. Ob ich deiner bewusst bin oder dich gar nicht bemerke, spielt keine Rolle für dich. Ich könnte mir sogar einbilden, ohne dich auszukommen, nur weil du so nah und selbstverständlich in mir lebst. Aber welche Hybris. Ohne dich bin ich verloren, ziemlich schnell sogar.
Wenn ich meditiere, leite ich mich immer wieder zu dir und erhalte die Chance, dir zu danken. Ich danke dir für dein Sein, ohne das ich nicht bin. Wir sind miteinander verwoben, du und ich. Wie kann ich dich nur gering schätzen. Hier lebt ein Stück bisher unbemerkter Körpermissachtung, schamvoll muss ich mir das eingestehen. Diese Schamfestung möchte ich überwinden oder besser noch abtragen. Du, lieber Atem, könntest mir dabei helfen: jede bewusste Atemwelle nimmt eine Mikroschicht des Walles mit sich. Übrig bleiben winzige Hügelketten, die an Sandformationen am Nordseeufer erinnern. Muster von Ebbe und Flut gebildet, Muster, die bereits von einer einzigen Welle ausgelöscht werden können. Mit dem nächsten Ausatmen verwischen sie.
Wann atmet das Meer ein und wann atmet es aus? Ein auslaufender Wellensaum – weist er auf Ein- oder Ausatmen des Ozeans hin, auf Ein- oder Ausatmen der Erde? Ob ein Astronaut das sehen kann? Oder sind es eher die Hopis, die Maoris, die darüber Auskunft geben könnten und spüren, was wir längst vergessen haben?
Mögen der Erde Atem und Puls erhalten bleiben – der große Atem und der große Herzschlag.