Vorweihnachtszeit, globalisiert

 

Auf der Rückfahrt vom Mekong-Delta nach Saigon sitzen wir in einem viel zu heißen Bus. Als ich die Augen schließe, spulen sich Bilder der vergangen 24 Stunden ab: der breite Mekong auf dem reger Schiffsverkehr herrscht, ein schwimmender Markt, Großhändler, die Süßkartoffeln, Ananas, Kürbisse, Kokosnüsse, Jackfrüchte, Bananen, Reis anbieten; Einzelhändler docken an, um Ware zu kaufen, die sie zu einem der zahlreichen Märkte am Ufer bringen, kleine Versorgungsboote machen mit einer Art Enterhaken fest, die Verkäufer rufen laut: „Nudelsuppe, Kaffee, Coca Cola“.

Ein Schwenk zu einem der Märkte an Land, den wir besucht haben: die Pyramide aus braunen lebenden Fröschen, die Hühnerfüße, Fische und Krabben, die ungekühlt in der Hitze liegen, Obst und Gemüsestände, winzige Garküchen mit Plastikhockern für die Gäste, Mopeds, die bis direkt vor die Ware fahren.

Ich sehe Obstgärten, Hängematten in kleinen Lokalen, grün eingewachsene Kanäle, den Familienbetrieb der 700kg Reisnudeln am Tag herstellt, mittags aufhören muss, damit die Reisfladen noch fünf Stunden trocknen können, bevor die Sonne untergeht.

Das Restaurant am Fluss gestern Abend, der Blick auf die vorbeiziehenden Dschunken, das Hotelschiff, das gerade ablegt, die vollgestopfte Fähre, die kreuzt, ohne jemals die Bugklappe zu schließen. Während die Lichtreklame eines Restaurantschiffes in der Ferne blinkt, geht der Mond auf, dieser Supervollmond, der auf der ganzen Welt bestaunt wird. Genau an diesem 14. November sitzen wir in Can To, lassen uns vom Mond und Mekong verzaubern….

 

Laute Radiomusik schreckt mich aus meinen Bildern. “Jingle Bells“ beschallt den Bus, abgelöst vom kompletten amerikanischen Weihnachtspotpourri. Warum lassen sich Ohren nicht verschließen?! Mein Blick geht nach außen. Inzwischen schiebt sich der Bus durch das Verkehrsgetümmel Saigons. Mopeds und Roller dominieren jede Straße, jede Kreuzung, jeden Kreisverkehr, selbst die Gehsteige. Plötzlich entdecke ich Plastikweihnachtsmänner an einem Einkaufszentrum. Mich beschleicht der Gedanke, dass auf irgendeine Weise die USA doch den Vietnamkrieg gewonnen haben.

 

Abends im Park begegnet mir „Jingle Bells“ erneut, noch lauter, noch schneller, dröhnt es aus Lautsprechern, die der Aerobic Gruppe mit einer Rock-Fassung des Weihnachtslieds einheizen. Sport, Schweiß und Glöckchen!

 

Als wir zwei Tage später morgens um 7 Uhr den Münchener Flughafen Richtung S-Bahn verlassen, reibe ich mir die Augen. Übermüdet vom 12-stündigen Nachtflug, damit beschäftigt den Temperaturunterschied von 25 Grad zu bewältigen, muss ich mich erst einmal zurecht finden: der vorher leere Platz ist jetzt von einem Weihnachtsmarkt besetzt, Weihnachtsbäume mit allzu großen roten Kugeln, überdimensionierten goldenen Schleifen, Glitzerschnee, Buden, die auf oberbayerisch machen. Und höre ich recht oder bilde ich es mir nur ein? An meinen Ohren zerrt „Jingle Bells“.

 

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